Eva Paszthory-Molineus 1953 |
Dieses schöne Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm handelt von einem Soldaten, der aus dem königlichen Dienst entlassenen wurde. Ohne Arbeit, ohne Lohn und ohne Essen irrt er durch den Wald und findet bei einer Hexe Rettung vor dem Hungertod. Diese nimmt ihn in ihre Dienste. Er soll ihr wundersames blaues Licht suchen, das in ihren ausgetrockneten Brunnen gefallen ist. Der Soldat findet das Licht, gibt es ihr aber nicht zurück, denn ohne dessen Wunderkraft wäre er verloren. Wann immer er nämlich seine Pfeife daran anzündet, erscheint ihm ein kleines schwarzes Männchen. Dieses hilft ihm auf gefahrenreichen Wegen, sich zunächst selbst vor der Hexe in Sicherheit zu bringen und darauf die Königstochter zu gewinnen. Trotz aller Versuche des alten Königs, dies zu verhindern, gewinnt der Held schliesslich die Prinzessin für sich und das Königreich obendrein. Wir werden im Vortrag der Frage nach der Rolle der Hexe nachgehen, der dunklen Naturgöttin, zu der so mancher Heldenweg hinführt. Inwiefern personifiziert sie, die wir psychologisch als einen Aspekt des kollektiven Unbewussten verstehen, die Antriebskraft der Individuation und zugleich deren Gefährdung? Und inwiefern verkörpert sie die aus der kollektiven patriarchalen Geisteshaltung ins Unbewusste verbannte weibliche Gottesseite? Diese zu erlösen, wir würden sagen, den vernachlässigten weiblichen Archetypus ins Bewusstsein zu heben, ist Aufgabe des Helden. Sie übersteigt menschliches Vermögen und kann nur mit Hilfe der merkurialen Figur des schwarzen Männchens gelingen, welches in geheimnisvoller Weise mit der Hexe in Verbindung steht. Das Thema des gegenseitigen Dienens der Märchenfiguren zieht sich durch die ganze Geschichte hindurch. Die sich wechselnden Abhängigkeits- und Dienstverhältnisse unterschiedlicher seelischer Kräfte mündet schliesslich in ein verbindliches Miteinander des männlichen und des weiblichen Prinzips, dargestellt im Schlussbild der Hochzeit des Helden mit der Prinzessin. Das zentrale Symbol im Märchen ist das blaue Licht der Naturmutter. Es verbindet den Helden mit einer höheren, der kollektiven Norm übergeordneten Wahrheit – ganz so wie wir dies in so manchem erhellenden Traum erfahren. Das Märchen scheint mir aufzuzeigen, dass eine Wandlung des Gottesbildes im kollektiven Unbewussten beziehungsweise die Entwicklung eines differenzierten Eros davon abhängt, ob der einzelne Mensch an der Liebe und Treue zur inneren Wahrheit festzuhalten vermag, und ob er bereit ist, ichbezogene Machtansprüche zu opfern. Eine solch hochstehende ethische Haltung zu entwickeln, dürfte für unsere heutige Zeit von höchster Bedeutung sein. Datum: Samstag, 25. Januar 2025 |
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